Festrede von Alfred Ludwig anlässlich der 1200 – Jahrfeier Walsheim
Die Menschen unserer Zeit sind im Feiern von Festen und Gedenktagen nicht verlegen. Wie viele Namen, Jahreszahlen und Ereignisse müssen sich doch fast täglich dafür hergeben.
„1200 Jahre Walsheim“ indessen- so meine ich – ist ein echter Anlass, einmal über das Wochenende die Arbeit ruhen zu lassen, den Festtagsanzug hervorzuholen und mit gutem Grunde zu feiern. 1200 Jahre sind ein ganz respektables Alter. Die heutige Feier stützt sich dabei auf die Jahreszahl 769. Dieses Jahr ist sicherlich nicht das Geburtsjahr von Walsheim. Aber es ist das Jahr, in dem das Bestehen des Ortes erstmals dokumentarisch belegt ist. Es spielt hierbei das in der Nähe von Bensheim an der Bergstraße gelegene Kloster Lorsch eine Rolle. Dieses im Jahre 764 gestiftete Kloster erhielt in der Folgezeit aus der näheren und weiteren Umgebung ansehnliche Schenkungen an Wiesen, Äckern, Weinbergen und Wäldern. Die Mönche des Klosters schrieben diese Schenkungen auf und fassten sie in einem Buch, dem sog. „Lorscher Codex“ zusammen. In einer solchen Schenkungsurkunde wird der Ort Walsheim, übrigens mit der Nachbargemeinde Roschbach zusammen, im Jahre 769 erstmals genannt.
Die ursprüngliche Ortsbezeichnung war Walahesheim. Man nimmt an, dass es sich um eine fränkische Siedlung handelt, der ein Geschlecht mit dem Namen Walah den Namen gegeben hat. Der Name hat sich dann im Verlaufe einiger Jahrhunderte zur heutigen Schreibweise gewandelt. Das heutige Waldsee bei Speyer führte damals den gleichen Namen.
Die Anfänge des Dorfes liegen geschichtlich noch weitgehend im Dunkel. Auch der weitere Werdegang ist noch nicht klar aufgezeichnet. Es wäre eine äußerst dankbare Aufgabe, etwas Licht in dieses Dunkel zu bringen, die Dorfgeschichte etwas näher zu erforschen und sie für die Nachwelt aufzuschreiben.
Denjenigen, die bereits wertvolle Quellen erschlossen haben, dürfen wir besonders dankbar sein.
Ich selbst bin weder Heimatkundler noch Historiker. Ich kann daher nur ganz laienhaft versuchen, einige Etappen der Dorfgeschichte zu skizzieren. Sie ist eingebettet in die Geschichte unserer näheren und weiteren Heimat. Und diese Geschichte ist eine außerordentlich wechselvolle. Walsheim hat dabei zwar keine Weltgeschichte gemacht, war aber sicherlich unmittelbar an der Weltgeschichte beteiligt.
Maximilian Pfeifer gibt in seinem Buch:“ Die Pfalz, ein deutsches Land“ einen Abriß über dies Geschichte. Er schreibt:“Die Völker von Hochasiens Steppen maßen im Pfälzerlande Kraft und Mut und sanken zu Grabe. Andere Stämme siedelten hier und verblichen. Germanische Stämme bauten ihre Wälle und Ringmauern, festigten Kuppen der Berge und schirmten das Tal mit hölzernem Hag. Steinerne Beile und erzerne Waffen birgt noch der Boden. Des Bauern Pflugschar entschürft sie, wo sie Jahrtausende geruht.“ Er schreibt weiter: “Der Römer kam. Meilensteine säumten die Heerstraßen und grenzten die Feldmark. Götterbilder zierten die Brücken, Roms Adler schwankten, Alemannen und Franken blickten begehrlich von jenseits des Rheins herüber, Kampf tobte um Kastelle und Siedlungen.“ Pfeifer berichtet weiter: „Die Gottesgeiseöl, Attila der Hunnenkönig zog heran, Schrecken sein Bote, Tod sein Genosse, Verderben sein Hauch. Das Burgunderreich der Römer brach zusammen. Alemannen und Franken folgten, sie pflügten, sie rodeten, sie säten, sie ernteten.“ Pfeifer schreibt über diese Zeit weiter: „Nimmer stirbt das Andenken des guten Königs Dagobert, der den königlichen Forst des Vogesenwaldes den Bauern aufteilte.“ Soweit Max Pfeifer. ER umreißt mit diesen wenigen Sätzen ein Jahrtausend der Geschichte auf pfälzischem Boden. In das Ende dieser Zeit fällt das Entstehen von Walsheim. Dem erwähnten fränkischen König Dagobert verdankt auch Walsheim seinen Waldbesitz.
Dieser Dagobert, der seinen Sitz auf der Burg Landeck bei Klingenmünster hatte, lag mit den Großen des Landes im Streit. Er fand dabei in den Bauern dieser Gegend Freunde und Helfer, die ihm beistanden. Als Dank dafür teilte er in einem großzügigen Testament die Haingeradewaldungen an die ihn unterstützenden Ortschaften auf.
Das fränkische Siedlungsgebiet war damals in Gaue aufgeteilt. Walsheim gehörte zum Speyergau, in dem ein Gaugraf die Oberherrschaft ausübte. Später gehörte es zur Herrschaft Scharfeneck. Diese erstreckte sich über die sogenannte mittlere Haingeraide. Zu ihr gehörte neben Walsheim auch Böchingen, Flemlingen, Gleisweiler, Burrweiler, Roschbach, Ramberg und Dernbach.
Der schon erwähnte Lorscher Codex, die wohl älteste geschriebene Geschichtsquelle, beweist, dass die Fluren unserer Gegend in jener Zeit bereits urbar gemacht und bebaut waren. Er zeigt auch, dass hier freie Bauern mit eigenem Grundbesitz seßhaft waren.
Ein steinernes Zeugnis aus dieser fränkischen Zeit ist der Fund einer Grabstätte, eines fränkischen Plattengrabes. Es wurde am Ausgang des letzten Jahrhunderts auf einem Grundstück im Silberberg bei Rodungsarbeiten freigelegt. Interessanterweise wurde für dieses Plattengrab ein römischer Grabstein zur Abdeckung verwendet. Ob dieser zu jener Zeit an Ort und Stelle abgebrochen wurde, was auf eine römische Besiedlung schließen ließe, oder ob er antransportiert wurde, scheint nicht geklärt zu sein.
Eine Glanzzeit dürfte Walsheim zwischen den Jahren 1200 und 1300 erlebt haben. In dieser Zeit dürfte es Sitz einiger bedeutender Edelsgeschlechter gewesen sein. Die sich nach dem Ort benannt haben. Aus dieser Zeit stammende Schenkungsurkunden des ST. Germannsstiftes zu Speyer und des Klosters Heilsbruck in Edenkoben, dürften dies eindeutig belegen.
In diese Zeitspanne könnte auch der erste Bau der Kirche fallen. Erste historische Zeugnisse über die Kirche sollen aus dem Jahre 1321 stammen. Auch die folgenden 2 Jahrhunderte dürften ruhig verlaufen sein. Erst das 16. Jahrhundert brachte für Walsheim bewegtere Zeiten, denn sicherlich spielte das Dorf auch in der Zeit der Bauernkriege eine Rolle. Es wäre beinahe unverständlich, wenn nicht auch Walsheimer Bürger mit dabei gewesen wären, als man 1525 unter der Dagobertshecke bei Frankweiler den mutigen Zusammenschluß der Bauern im sog. „Bundschuh“ beschwor, als man sich ferner anläßlich der Nußdorfer Kirchweih an den Wirtshaustischen die Köpfe heiß redete und als man schließlich auszog, um sich von Unterdrückung, Frohndienst und dem Zehnten loszusagen.
Die gutnachbarschaftlichen, freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Nußdorf und Walsheim haben sicherlich ihre Wurzel nicht erst in jüngster Zeit.
Es kommt die Zeit des 30-jährigen Krieges etwa hundert Jahre später. Sie war für Walsheim eine ausgesprochene Schreckenszeit. Stets wechselnde Kriegsparteien zogen plündernd und brennend durchs Land. Hunger und Pest wüteten und der Tod hielt reiche Ernte. Die Eintragungen in den Kirchenbüchern in der damaligen Zeit geben hierfür ein erschütterndes Zeugnis. Im Jahre 1622 starben54 Einwohner, 1632 waren es 56 und 1633 abermals 49. Ganze Familienwurden damals ausgelöscht.
Auch die folgenden fast 200 Jahre sollten die Pfalz nicht zur Ruhe kommen lassen. Da waren es einmal die Raubzüge des französischen Sonnenkönigs Ludwigs XIV um 1766, da war es das Vorstürmen der franz. Revolutionsheere 1793 und die entscheidende Schlacht 1794 am Schänzel bei Heldenstein, in der sich die Preußen geschlagen zurückziehen mussten, da waren es die Befreiungskriege 1813 -1815, die Erlösung von dem napoleonischen Joch bringen sollten.
Landau war in dieser Zeit mit den Ortschaften Nußdorf, Dammheim und Queichheim eine französische Festung. Alsheim lag bei allen kriegerischen Handlungen um die Festung stets in deren Vorfeld. Walsheim war darüber hinaus in dieser Zeit stets Grenzgebiet zwischen französischem und deutschem Territorium. Fast zwei Jahrzehnte, bis zum Pariser Frieden 1814, gehörte es sogar zum französischen Staatsgebiet.
August Becker schreibt in seinem Buch „Die Pfalz und die Pfälzer“ folgendes: „Während der Belagerung von Landau 1793 und dann von 1814 und 1815 litt die ganze Gegend außerordentlich, da die Kosaken, Baschkiren und Kalmücken, noch mehr aber die Preußen und Würtmberger das Land für Feindesland nahmen.“ August Becker berichtet auch, dass der in Walsheim kampierende russische General damals den Nußdorfer Maire und seinen Schwiegersohn habe zu Tode knuten lassen. Mein Urgroßvater soll allerdings auch erzählt haben, daß es ihm bereits als Säugling gelungen sei, den gleichen General samt seinem Stabe aus Walsheim zu vertreiben. Mein Urgroßvater ist 1814 zur Welt gekommen, etwa zu der gleichen Zeit als der General in der elterlichen Wirtschaft meines Urgroßvaters einquartiert gewesen sein soll. Sein Geschrei sei so herzzerreißend gewesen, dass es selbst dem rauhen russischen Soldatenauf die Nerven ging und er es vorzog, sich nach Edenkoben abzusetzen.
Auch die Walsheimer Kirche steht im engeren Zusammenhang mit den Geschehnissen dieser Zeit. Die erste Kirche ist –wie bereits erwähnt- sicher schon vor dem Jahre 1321 erbaut. Sie soll dem heiligen Petrus geweiht gewesen sein. August Becker berichtet, dass nach der Sage der Apostel Petrus hier zum ersten Male auf deutschem Boden gepredigt habe. Diese Kirche wurde im Jahre 1794 restlos zerstört. Französische Truppen, die von Landau her über Nußdorf gegen Walsheim vorgedrungen waren, haben auf der Anhöhe südlich der Kirche Stellung bezogen und sich eingeschanzt. Ihnen gegenüber im Norden Richtung Edesheim standen die Preußen unter General Blücher. Da die Kirche die militärischen Operationen behinderte, hat man sie am 30. Juno 1794 unter Beschuß genommen und niedergelegt. Nach 16 Jahren hat man an der gleichen Stelle mit der Errichtung der heutigen Kirche begonnen. Zwei Jahre später, am ersten Sonntag im September 1812, hat man sie feierlich eingeweiht. Nebenbei sei bemerkt, dass der Tag der Walsheimer Kerwe also nicht willkürlich gewählt war.
Die alte Glocke -1762 in Speyer gegossen und – „aus dem reformierten Klingelbeitel bezahlt“ – wie ihre Inschrift kundtat, hat die Zerstörung anscheinend überstanden.
Auch das Pfarrhaus -1739 erbaut - dürfte bei der Zerstörung der Kirche nicht in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Vorher diente übrigens das um etwa 1600 erbaute Heckmann’sche Fachwerkhaus in der Großgasse als Pfarrhaus.
Wir waren bei unserem geschichtlichen Rückblick beim Jahre 1814 angelangt. Nach kurzer österreichisch-bayrischer Verwaltung kam die Pfalz und damit auch Walsheim im Jahre 1816 zu Bayern. Von nun an verlief die Entwicklung etwas friedlicher. Während das Dorf kurz vor der französischen Revolution, nämlich 1785, 288 Einwohner zählte, hatte es 1836 –also 50 Jahre später - mehr als doppelt so viele Einwohner -nämlich 627. Ich glaube, diese Einwohnerzahl hat Walsheim nachher nie mehr erreicht.
Es sollten in der Folgezeit, in unserem Jahrhundert zwar nochmals zwei größere Kriege die Welt erschüttern und von der Gemeinde wiederum schmerzliche Opfer und Vermißten fordern. Aber das Dorf blieb wenigstens von den unmittelbaren Kriegseinwirkungen verschont, die ihm in früheren Jahrhunderten so oft und so folgenschwer mitgespielt hatten.
Die Geschichte Walsheims ist eng verknüpft mit einer Reihe tatkräftiger Männer, die sich in der wechselvollen Entwicklung immer wieder um das Dorf verdient gemacht hatten. Sie wären zu nennen aus dem Kreise der Ortspfarrer, der Lehrer, der Bürgermeister und nicht zuletzt aus der Bürgerschaft selbst. Ihre Zahl ist so groß, dass ich Gefahr laufen müsste, unvollständig und damit ungerecht zu bleiben. Ich darf daher bewusst auf die besondere Herausstellung von Namen und Persönlichkeiten verzichten. Ich bin mir des Mangels wohl bewusst, hoffe aber, dass Sie mit mir Nachsicht üben.
Lassen Sie mich nach dem Rückblicke auf das 1200-jährige Walsheim auch noch etwas die Gegenwart betrachten und auch Ausschau halten. Wir leben in einer Zeit des völligen Umbruchs auf den verschiedensten Gebieten. Wir schicken uns an, uns auf das Jahr 2000 vorzubereiten. Wir sind in diesen Tagen Zeugen eines grandiosen menschlichen Unternehmens –dem Flug zum Mond. Wir treten damit in ein, für die Menschheit neues Zeitalter ein. Der Umbruch hat auch das Dorf erfasst.
Das Dorf hat sich gewandelt und es wird sich noch weiter wandeln. Dieser Wandel findet im wesentlichen seinen Niederschlag in den Feststellungen, dass
- sich die Zusammensetzung der ländlichen Bevölkerung grundlegend geändert hat
- das Leben der Bauern sich völlig gewandelt hat und dass
- die Einflüsse der Stadt und der Zivilisation in das Dorf eingedrungen sind und das ländliche Leben immer mehr umformen.
Die Zunahme der Bevölkerung in Deutschland um mehr als das Doppelte in den letzten 150 Jahren kam im Wesentlichen nur der Stadt zugute. Heute leben in den Städten mehr als 2/3 der Gesamtbevölkerung. Die Einwohnerzahlen unserer Dörfer stagnieren oder sind gar rückläufig. Das Dorf war früher vorwiegend eine bäuerliche Siedlungsstätte. Hinzu gesellte sich das eng mit der Landwirtschaft verbundene und von ihr abhängige ländliche Handwerk. Der Standort der gewerbetreibenden Bevölkerung war weitgehend die Stadt. Während das Bauerntum bereits im vorigen Jahrhundert fast vollkommen aus den Städten verschwunden ist, gerät es in den letzten 20 Jahren immer mehr auch auf dem Lande in die Minderzahl. In der Bundesrepublik beträgt der Anteil der Landwirtschaft an der Zahl der Erwerbstätigen nur noch knapp 10%. Selbst auf den Dörfern geht ihr Anteil in vielen Fällen über ¼ der Erwerbstätigen nicht mehr hinaus. Die übrigen Dorfbewohner üben einen außerlandwirtschaftlichen Beruf aus. Sie sind Arbeiter, Angestellte, Beamte oder Selbstständige im produzierenden Gewerbe, im Handel und Verkehr und in den sonstigen Wirtschaftsbereichen. Sie pendeln täglich zu ihrem Arbeitsplatz in die Stadt. Das Dorf ist nur Wohnstätte für sie und ihre Familien. Diese sich immer mehr herausbildende ländliche Wohngemeinde stellt an die Daseinsvorsorge für ihre Bürger immer höhere Anforderungen. Neben den pendelnden Erwerbstätigen zählen zu den Pendlern immer mehr auch Hausfrauen und Kinder. Der gehobene Lebensbedarf wird überwiegend in der Stadt gedeckt. Viele Kinder pendeln vom Familienwohnsitz zur Mittelpunktschule oder zu weiterführenden Schulen in der Stadt. Die Grenzen zwischen Stadt und Land schwinden immer mehr. Das Leben auf dem Dorf hat aufgehört weitgehend von der bäuerlichen Form geprägt zu sein. Dieser Prozeß, dass sich das Dorf in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht völlig wandelt, ist mancherorts bereits abgeschlossen, vielfach aber noch zügig im Gange.
Auch für Walsheim ist dieser Wandel deutlich sichtbar und der weitere Fortgang ist noch nicht zu übersehen. Im Zuge der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung der Region Südpfalz nimmt die Stadt Landau zweifellos eine Mittelpunktstellung ein. Die Planer haben bis zum Jahre 1985 eine Zunahme der Bevölkerung der Stadt um 9000 Einwohner vorausgesagt. Sollte dieser Bevölkerungszuwachs Wirklichkeit werden, Dann dürfte dies auch eine Ausstrahlung auf den Nahbereich, d.h. die umliegenden Ortschaften haben und dazu kann man eine Entfernung von 5 km – praktisch 5 Autominuten - wohl zählen.
Nicht nur, dass sich die Zusammensetzung der ländlichen Bevölkerung gewandelt hat, auch das Leben des Bevölkerungsteils, der das Dorf früher geprägt hat, ist von Grund auf gewandelt.
Bereits mit dem Beginn der Industrialisierung im vergangenen Jahrhundert ist die Landwirtschaft aus ihrem ausschließlichen Selbstversorgerdasein herausgetreten und hat begonnen, vorwiegend für den Markt zu produzieren. Um das Jahr 1800 war noch die Arbeit von 4 Bauern nötig, um einen nichtlandwirtschaftlichen Verbraucher zu ernähren. 1900 versorgte schon 1 Bauer 4 Verbraucher. Heute erzeugt bei uns eine Arbeitskraft in der Landwirtschaft Nahrungsmittel für fast 25 Personen. Immer weniger Menschen bringen immer mehr Nahrungsmittel hervor. Die Zeiten, in denen in den landwirtschaftlichen Betrieben noch Knechte und Mägde zur Verfügung standen sind längst vorbei. Der Prozeß der Abwanderung von Arbeitskräften ist noch nicht abgeschlossen. Mechanisierung und Rationalisierung werden weiter voranschreiten und werden weitere Arbeitskräfte freisetzen. Es wird nicht möglich sein, auf die Dauer allen noch bestehenden landwirtschaftlichen Betrieben ein ausreichendes und anderen Berufsgruppen angemessenes Einkommen zu sichern. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe wird auch in Walsheim noch weiter abnehmen. Immer mehr werden einst selbstständige Betriebe nur noch im Nebenerwerb oder Zuerwerb bewirtschaftet werden können. Das Haupteinkommen wird aus anderen als landwirtschaftlichen Quellen fließen. Es wird davon abhängen, inwieweit sichere Arbeitsplätze in zumutbarer Entfernung zur Verfügung stehen. Das Anlaufen des in Entstehung begriffenen Industriewerkes in Offenbach wird manches in Bewegung bringen.
Der Wandel des Dorfes zeigt sich auch im Brauchtum. Früher war es ein echter Bestandteil dörflicher Gemeinschaft. Schulen und örtliche Vereine haben sich nach Kräften bemüht, es zu bewahren und weiterzutragen. Diese muss zweifellos auch den Walsheimer Vereinen bestätigt werden. Sie hatten sicher dabei auch gute Erfolge. Trotzdem ist aber vieles verlorengegangen.
Wo aber noch manches gepflegt wird, könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass es nur als Attraktion der Fremden wegen geschieht, ohne noch echter Bestandteil der Daseinsform des Dorfes zu sein.
Der Wandlungsprozeß stellt das Dorf unserer Tage vor ganz gewaltige Aufgaben. Unser Grundgesetz gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Dieses so geschützte Selbstverwaltungsrecht verpflichtet aber auch zugleich. Es würde zu weit führen, die Fülle der Aufgaben auch nur annähernd vollständig aufführen zu wollen. Die Tendenz, unser Dasein durch immer weitere Gesetze zu reglementieren, hält unaufhörlich an. Die Verwaltung wird immer mehr aufgebläht. Die Bürde der Verwaltungslast der Gemeinde wird immer stärker. Die Grenzen der Verwaltungskraft sind in vielen Fällen schon überschritten. Der Bürger erwartet ferner von seiner Gemeinde neben der Verwaltung auch immer mehr an Leistungen. Der Bürger auf dem Lande verlangt heute – und das durchaus zu Recht – schon die gleichen zivilisatorischen Einrichtungen wie der Städter.
So ist die Gmeinde Träger der Wasserversorgung, sie hat die Abwasserbeseitigung zu regeln, sie muss die örtlichen Straßen in Ordnung halten, sie muss Spiel- und Sportanlagen und kulturelle Einrichtungen schaffen. Die Aufzählung dieser öffentlichen Dienste ließe sich noch weiter fortsetzen.
Hinzu kommen weiter die Aufgaben der Dorfentwicklung und teilweise auch der Dorferneuerung, um eine dem heutigen Menschen auf dem Dorfe gerechte Umwelt zu schaffen. Die Erneuerung des Dorfes ist dabei mehr als nur die Verbesserung der Agrarstruktur z.B. durch Flurbereinigung. Es ist eine ganzheitliche Aufgabe, die das Dorf zu einem modernen Gemeinwesen durch Erneuerung der bebauten und unbebauten Umwelt macht.
Der Treibstoff, um all diese Aufgaben in Gang zu bringen, ist nun einmal das Geld. Die Wirtschaftskraft des Dorfes und die Steuerkraft seiner Bürger ist aber begrenzt, um die dringend notwendigen Maßnahmen und Einrichtungen ausreichend finanzieren zu können. Dem kleinen Dorf Walsheim muss bescheinigt werden, dass es in der Vergangenheit wertvolle Arbeit geleistet und sich redlich bemüht hat, trotz bescheidener Mittel, seinen Aufgaben weitgehend gerecht zu werden.
So hat sich am Beispiel des Dorfes Walsheim gezeigt, dass eine Gemeinde stets mehr ist, als die Summe von Verwaltungsleistungen, sie ist die Gemeinschaft der Bürger und damit eine grundlegende Kraft unserer Demokratie. Der herausragende Wert der lebendigen Gemeinschaft ist die aktive Mitwirkung der Bürger an den öffentlichen Aufgaben. Dass ehrenamtlich und hauptamtlich tätige Männer und Frauen mit Ideen und Initiative, unter persönlichen Opfern bürgerschaftlicher Mitverantwortung auch mit geringen öffentlichen Mitteln erstaunliche Leistungen vollbringen können, hat sich in Walsheim mehrmals überzeugend bewiesen. Als Beispiel möchte ich einmal den Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ anführen. Hier hat in diesem kleinen Dorf echter Bürgersinn eine Gemeinschaftsleistung hervorgebracht, die das Ortsbild auf Jahre hin deutlich geprägt hat.
Hier gilt besonders den Frauen des Dorfes ein uneingeschränktes Lob für ihren selbstlosen und unermüdlichen Einsatz. Es ist eigentlich etwas beschämend, dass man die Arbeit der Frauen nicht auch dadurch honoriert, dass man sich auch in der Verwaltung der Gemeinde ihrer wertvollen Mitarbeit bedient.
Ein weiteres Beispiel ist die vor der Vollendung stehende Gemeinschaftshalle, die uns zu der heutigen Feier beherbergt. Auch sie ist ein beredes Zeugnis gemeinschaftlicher körperlicher Anstrengungen, geopferter Freizeit sowie persönlicher und gemeinschaftlicher finanzieller Opfer.
All dieser Gemeinschaftsgeist der Bürger und ihr Opfersinn, darf indessen nicht darüber hinwegtäuschen, dass unsere Dörfer ganz allgemein –und hier können wir auch das Dorf Walsheim nicht ausschließen – nicht über die Verwaltungs- und Leistungskraftverfügen, um den Anforderungen und Aufgaben zu genügen, die der Bürger von heute an sie stellt. Die Stärkung der Verwaltungs- und Leistungskraft der Dörfer ist daher das Kernproblem unserer Zeit. Die Einsicht, dass eine Stärkung der Kräfte in den Dörfern notwendig ist, ist in letzter Zeit gewachsen. Dies erhöht die Chancen einer Realisierung.
Die beabsichtigte Bildung von Verbandsgemeinden wird den Bürger von morgen vor neue Situationen stellen. Alte Gewohnheiten werden aufgegeben werden müssen. Es gilt, sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Vielleicht gehört dann auch mancher Anlaß örtlicher Zänkereien der Vergangenheit an. Dies jedenfalls wäre ein zusätzliches positives Argument für die Verbandsgemeinde.
Noch auf einem weiteren Gebiete des ländlichen Lebens ist ein Wandel im Gange. Der umfassende Strukturwandel des ländlichen Raumes bringt auch das Schulwesen auf dem Lande in Bewegung.
Ziel der Schule ist es, den jungen Menschen auf die Bedingungen einer hochindustrialisierten Gesellschaft vorzubereiten. Die junge Generation muss lernen, in der von Wissenschaft und Technik bestimmten Welt zu leben und sich zu behaupten. Die Menschendes Dorfes erwarten mit Recht, dass auch ihre Schulen ihnen das geben, was ihnen dazu verhilft, das Leben heute und in der Zukunft zu bestehen. Die kleine Dorfschule alter Prägung ist dazu nicht mehr in der Lage. Noch besteht ein Bildungsgefälle zwischen Stadt und Land. Eine zeitgerechte Bildung der Kinder, auch auf dem Lande, setzt neue Schulformen voraus. Um die Planung und Ausgestaltung größerer Schulen, seien es Mittelpunktschulen, seien es Schulzentren oder Gesamtschulen in zentralgelegenen Orten ist man bemüht. Auch Walsheim wird sich damit befassen müssen, eines Tages seine gesamten Schüler, auch die der unteren Klassen in eine solch größere Schule einzugliedern. Mancher mag dies bedauern, weil er glaubt, dass damit dem Dorf so etwas wie ein geistiges und kulturelles Aktionszentrum verloren geht. Ich meine, die Zeiten, wo sich ein Dorfschullehrer allen möglichen außerschulischen Aufgaben der Dorfgemeinschaft zur Verfügung stellte, - vielleicht auch stellen konnte - gehören ohne dies der Vergangenheit an.
Ich darf zum Schluß kommen. Ich habe versucht, Ihnen an einigen markanten Daten die geschichtliche Entwicklung des 1200-jährigen Dorfes aufzuzeigen. Ich habe versucht, Ihnen in groben Umrissen ein Bild der gewandelten Welt zu zeichnen, in die das Dorf von heute hineingestellt ist. Ich habe weiter versucht, einige Ausblicke zu geben, die sich aus der gewandelten Situation für das Dorf von heute und morgen ergeben.
Walsheim hat die hinter ihm liegenden Jahrhunderte gut gemeistert. Immer wieder haben nach bitteren Zeiten echter Bürgersinn, Einsatz- und Opferbereitschaft das Dorf wieder vorangeführt. Möge dies auch für die Zukunft so bleiben.
Möge dieses Haus, in dem wir die 1200 Jahrfeier begehen dürfen, eine erfreuliche Gemeinschaftsleistung unserer Zeit, das beherrschende Gebäude dieser Dorfseite, ein echter Gegenpol darstellen zum beherrschenden Gebäude der anderen Dorfseite, der Kirche, die das Dorf über weite Jahrhunderte seiner Geschichte in Freud und Leid begleitet hat.
Mögen beide Gebäude gleichsam die Pfeiler darstellen, von denen aus alles Gegensätzliche und Trennende der Gemeinde überbrückt wird und von denen aus sich echter Bürgersinn immer wieder von neuem bewähren kann. Möge diese Brücke aber auch das Dorf nach außen hin öffnen, dass es weltoffen und fortschrittlich in die Zukunft schreiten kann.
Mögen dem Dorf, nach seiner wechselvollen Geschichte, in der Zukunft immer nur friedliche Zeiten beschieden sein und möge es auch in einer schnell sich wandelnden Zeit seinen Bürgern eine echte Heimat bleiben.